SONGWERKSTATT AWG ALTE SCHULE REITBROOK – WIE ALLES BEGANN

Weil im Haus ein Aufenthalts- und Arbeitsraum fehlte, spielte ich mit Gitarre und sang meine Lieblingslieder und Akkorde in der Gemeinschaftsküche. Ich lud die BewohnerInnen der AWG zum Mitmachen und Teilhabe ein. Sie gesellten sich neugierig dazu. Wir starteten auf dem Sofa im Flur vor der Küche mit Gitarre, Percussion und Trommeln. Aus einem der Bewohnerzimmer nebenan tönte von der Stereoanlage laute Instrumentalmusik in Endlosschleife. Wir stiegen ein in den Groove des Instrumentals mit unserer musikalischen Improvisation. Eine Stunde lang non stop. Wir lernten uns kennen, sangen Wie sieht dein Tag hier aus? und fanden Antworten in unserem ersten Lied I like it. Thomas sang von der Treppenrampe herunter, während Danny Djembe auf dem Sofa krumm sitzend trommelte. Boy hockte auf einem Stuhl zwischen Tür und Angel und ich quetschte mich mit der Gitarre dazwischen. Das Sofa im Flur schien kein optimaler Ort, um zusammen Musik zu schaffen. Zu eng, zu viel Durchzug und Ablenkung von auf- und zufallenden Türen um uns herum. Zu Neunt samt Stühlen zogen wir in den 9 Quadratmeter kleinen, abschließbaren Vorraum um, wo wir in Ruhe musizieren konnten. Die Rohfassung unseres zweiten Liedes Manche Uhren ticken anders entstand. In dieser Zeit brachte Danny sein Keyboardspiel in die Gruppe mit rein. Zuvor hörten wir ihn lediglich durch seine Zimmertür für sich selbst spielen. Gemeinsam probten wir manchmal stundenlang, kamen richtig in Fahrt und vergaßen die Zeit, bis unser einziger Probenraum wegen  Feuerschutzmaßnahmen zum Nachtbereitschaftszimmer mit Brandschutztüren umgebaut wurde. Wir ließen uns nicht stoppen und arbeiteten von nun an in der Küche, dem größten Raum im Haus. Und wenn wir uns gerade voller Elan einem neuen Reitbrook Hausblues hingaben, wurden wir unterbrochen von eingekauften Esswaren, die unverzüglich in unserem Probenraum eingeräumt und danach gekocht werden mussten. Da sich aber unser gemeinsames Songwriting gut entwickelte, platzierten wir unsere motivierte Songwerkstatt erneut im Flur zwischen Haupteingang und Treppe. Danny inspirierte die Gruppe mit einer neuen Melodie auf seinem Keyboard. Der Song Ich bin hier begann Form anzunehmen. Wir suchten nach einem Thema für den Text. Ich fragte Danny, woran er bei der Melodie denke. Nein, antwortete er. Geli setzte sich mit ihrem Strickzeug dazu, stand gleich wieder auf und ging in ihr Zimmer. Bleib doch hier, bat ich sie. Geli kam zurück mit ihrem Triangel. Ich sagte: Ah, ja, der ist dir wichtig. Schön, du bist hier. Dann fragte ich Danny: Was ist dir wichtig? Danny: Ich heiße Danny. Ich: Musik ist mir wichtig und für dich? Danny: Ja, Musik. ich: Das ist meine Freundin. Pascal: Ja! Ich fragte Jörn: Was ist dir wichtig? Jörn: Tanzen. Damian: Lila Cola. Danny: Keine Angst. Ich: Alle seid ihr hier, wir sind hier und wir machen Musik. Was ist besser, ich bin hier oder du bist hier? Danny: Ich bin hier. Ich heiße Danny. Ich bin hier. Ich: Richtig, hier ist Reitbrook, ich bin hier richtig. Gib mir den Beat! Da tropfte es plötzlich von oben durch die Decke und viel Wasser rauschte die Treppe hinab vor unsere Füße. Wasserschaden. Oje! Da aber schon der Sommer kam, konnten wir unseren Songideen in Ruhe im Garten nachgehen. Einst, als wir zu spanischen Akkorden kräftig in den Grasboden stampften, sanken Boys Stuhlbeine ein und der 70 jährige große Mann kippte um. Erfreulicherweise brach er sich keine Knochen und wir mussten nach dem Schreck alle herzlich lachen. Von da an war klar, selbst die Erde schien uns nicht Stand zu halten. Die Aussicht auf einen Kunst- und Werkraum war zwar da, aber forderte noch viel Geduld in unserem Nomadendasein. Hauptsache in Bewegung bleiben. Ich schlug der Leitung die Erstellung unseres ersten Musikvideos Ich bin hier in Zusammenarbeit mit der renommierten Hamburger Künstlerin Mariola Brillowska vor. Die Leitung befürwortete die Idee. Die Produktion der mit dem Video zusammenhängenden Studioaufnahmen fand außer Haus satt. Noch nie zuvor waren die AWG Anwohner in einem Tonstudio. Es folgten der MUVI Publikumspreis in Oberhausen 2017, Fernsehreportagen, Zeitungsinterviews. Das zweite Musikvideo Backe Frieden drehten wir in Kooperation mit dem Milchhof Reitbrook, der Bäckerei Heinz Hintelmann und dem Gastmusiker und Beatboxer Mark Boombastik. Weitere externe Künstler beteiligten sich an der Produktion von Backe Frieden mit Kostümen, Maske, Kamera und Licht. Zur Filmpremiere in der Galerie des Künstlerhauses Faktor trat zum ersten Mal live die Band der AWG Songwerkstatt Ich Bin Hier vor großem Publikum auf. Was für ein Flow! Das einfach Machen und Eintauchen finde ich sehr aufregend und es braucht viel Mut und Vertrauen von uns allen, immer wieder. Toll, wenn unsere Arbeit in der Songwerkstatt bewirkt, dass wir gemeinsam wachsen, Spaß haben, sagen, was wir schon immer mal sagen wollten. Präsent sind!

Caroline Gempeler Debérn / Leitung Songwerkstatt AWG Alte Schule Reitbrook Pestalozzi-Stiftung Hamburg